Sonntag, 22. Februar 2009

Die Bürde des weißen Mannes

Die Doktrin von der Bürde des weißen Mannes diente dazu, wirtschaftliche Ausbeutung zu betreiben und Millionen von Menschen auf der Welt das Recht auf Selbstbestimmung zu bestreiten, sofern die Expansion Europas und Amerikas nicht die buchstäbliche Ausrottung ganzer Völker bedeutete. Rationalisiert wurde dies, indem man von der kulturellen Minderwertigkeit der betreffenden Völker sprach, von ihrem Entwicklungsrückstand oder von ihrer primitiven Mentalität, die rechtfertige, dass höherentwickeltere Völker sich ihrer annähmen. Die Geschichte der Expansion der westlichen Welt war für die unterdrückten Länder gekennzeichnet durch die Entwertung der menschlichen Persönlichkeit und durch den Verfall der Menschenrechte.
Die kulturellen Werte dieser Völker wurden konsequent missverstanden und herabgesetzt. Religiöse Glaubensvorstellungen, die für ungezählte Generationen Überzeugungskraft hatten und ihnen eine Anpassung an die natürliche Ordnung ermöglichten, wurden als abergläubisch, unmoralisch und unwahr attackiert. Und dieser Vorgang hat - da ja die Gewalt ihre eigene Überzeugungskraft besitzt - jenen Prozesse der Demoralisierung, der mit wirtschaftlicher Ausbeutung und dem Verlust politischer Selbstständigkeit begonnen hatte, weiter fortgesetzt. Des weißen Mannes Bürde, seine zivilisatorische Sendung wiegen in der Tat schwer. Aber diese Bürde wurde bisher nicht von denen getragen, die, häufig in durchaus ehrlicher Absicht, in die entlegensten Teile der Welt fuhren, um jenen die Zivilisation zu bringen, die sie für minderwertig hielten.
Melville Herskovits

Dienstag, 3. Februar 2009

Am Nullpunkt der Literatur

Die Natur wird ein Nichtzusammenhängendes von Objekten, die einsam und furchtbar sind, weil sie nur mögliche Verbindungen besitzen; niemand wählt für sie einen bestimmten Sinn, einen vor anderen privilegierten Gebrauch oder Dienst, niemand reduziert sie auf das Bedeuten eines geistigen Verhaltens oder einer Absicht, das heißt letztlich einer Zärtlichkeit. Diese Objektworte ohne Verbindung, die mit der ganzen Gewalt ihres Zerspringens geschmückt sind, diese lyrischen Worte schließen die Menschen aus: es gibt keinen lyrischen Humanismus der Modernität; dieser Diskurs ist voller Schrecken, das heißt, dass er den Menschen nicht in Verbindung mit den anderen Menschen setzt, sondern mit den unmenschlichsten Bildern der Natur: dem Himmel, der Hölle, dem Heiligen, der Kindheit, dem Wahnsinn, der reinen Materie...
Roland Barthes