Mittwoch, 30. Dezember 2009

Das Leben ist nur sinnloser Zufall

Schicksal. Bestimmung. Gott.
Das ist alles Schwachsinn.
Die Leute wollen, dass ihr Leben einen Sinn ergibt. Sie wollen sich hinsetzen und wie kosmische Detektive alle bisherigen Ereignisse in ihrem Leben unter die Lupe nehmen, die wichtigsten Wendepunkte identifizieren, die sie geprägt haben, und diese Momente rückwirkend mit einer mystischen Aura ausstatten. Als würden die himmlischen Mächte des Universums wie ein Autorenteam die Fernsehserie unseres Leben schreiben, damit beauftragt, sich ungeheuer verwickelte Handlungsstränge auszudenken, die sich dann am Ende der Staffel in Wohlgefallen auflösen sollen. Niemand möchte glauben, dass das alles völlig willkürlich abläuft und die Richtung, die wir mit unserem Leben einschlagen, nur auf einer komplexen Reihe von Zufällen beruht, kleinen Atompilzwolken, in deren Fallout wir leben.
Mein fast perfektes Leben von Jonathan Tropper

Dienstag, 15. Dezember 2009

Stolz der Toten

Solch ein Toter ist anders als einer, der gleich nach dem Tod eingeäschert wird, dachte ich. Die Toten in der Wanne hier haben sich gleichsam zu Dingen verdichtet, sind kompakte Gegenstände geworden, losgelöst vom Leben. Ein Toter, der schnell eingeäschert wird, ist nicht so gegenständlich, dachte ich, er ist weder Gegenstand noch Bewusstsein, sondern geht über in einen undefinierbaren Zwischenzustand. Bei eiliger Einäscherung bleibt ihnen keine Zeit, gegenständlich zu werden. Die Toten, die die Wanne füllten, hatten diesen gefährlichen Übergangszustand überwunden. Ich betrachtete mir diese Gegenstände.
Ja, schienen sie zu sagen, wir sind Gegenstände, und sehr präzis gemacht. Wer eingeäschert wird, hat keine Maße und kennt nicht das sichere Gefühl der Schwere.
So verhält es sich, dachte ich. Der Tod ist gegenständlich. Bisher hatte ich den Tod nur unter dem Aspekt des Bewusstseins betrachtet. Doch nach dem Aufhören des Bewusstseins wird der Tod gegenständlich.
Als der Krieg zu Ende ging, musste er in den Herzen der Erwachsenen verdaut werden, und das unverdaulich Harte wurde ausgeschieden.
"Eure Hoffnung war eine schwere Verantwortung für uns. Doch der nächste Krieg ist eure Sache."
Der nächste Krieg wird beginnen, ob wir wollen oder nicht, und dann werden wir im Strom der leeren Hoffnung ertrinken.
"Ihr seid es, die den nächsten Krieg beginnen werden! Wir Toten können nur noch zuschauen und kritisieren."
Die Verantwortung beim Gebären ist genauso schwer wie bei einem Mord.
Der Embryo und die Leichen, das sind beides eine Art von Menschen, bei denen der Körper keine Verbindung mit einem Bewusstsein hat. Es sind Menschen, aber sie sind nur eine Verbindung aus Fleisch und Knochen.
Kenzaburō Ōe

Samstag, 12. Dezember 2009

Sterben für Jerusalem

Buchvorstellung

Dieter Breuers
Sterben für Jerusalem
Der Erste Kreuzzug


Vor 900 Jahren ging der Erste Kreuzzug zu Ende - ein historisches Ereignis, das bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat und das immer wieder Gegenstand historischer Abhandlungen und romantischer Verklärung wurde.
Doch was mit frommen Absichten, hehren Zielen und mit dem Ruf "Gott will es!" auf den Lippen begann, verkam recht bald zu einem elenden Unternehmen: Brutalität, Neid, Hemmungslosigkeit, Habsucht, Hunger und Streit waren an der Tagesordnung.
Anhand der spannenden Lebensgeschichten verschiedener fiktiver Personen lässt Dieter Breuers eine Welt erstehen, die uns auch heute noch Schauer über den Rücken jagt.

Insgesamt finde ich dieses Buch sehr gut gelungen, weil es die historischen Fakten liefert, ohne zu sehr ins Detail abzuschweifen. Wenn ich komplett über den Ersten Kreuzzug aufgeklärt werden möchte, dann lese ich schließlich ein Fachbuch. Viele Autoren von historischen Romanen neigen dazu, alles endlos aufzudröseln und letztendlich keine guten Geschichten zu erzählen, weil sie sich zu sehr an das Geschehnis halten und damit jedes Buch gleich klingt. Dann gibt es wiederum Leute, die so ausschweifen, dass von der eigentlichen Geschichte kaum mehr ein Hauch von Wahrheit bleibt und alles eher wie ein Fantasyroman anmutet. Breuers findet einen guten Mittelweg. Er beleuchtet die Fakten, ohne auszuschweifen. Er kreiert fiktive Charaktere, die er mit dem tatsächlichen Geschehnis verbindet, ohne sie zu sehr in einen gefühlsbeladenen Mittelpunkt zu stellen. Und er nutzt einen knappen, für historische Romane ungewohnten Schreibstil.
Es gibt zum Teil auch Negatives zu vermerken. Bei manchen Dingen weiß man nicht, wie sehr sich der Autor auf Quellen stützt und wie viel er sich selbst erdacht hat. Beispielsweise das Finden der Longinuslanze. Dazu gibt es im Buch auch kein Quellen- bzw. Literaturverzeichnis. Natürlich bemängle ich beides nicht, weil es sich nun einmal um einen Roman, nicht um ein Fachbuch handelt. Dennoch besitzt das Buch ein Personen- und Sachregister. Großer Pluspunkt. Damit können wenige Romane aufwarten.
Man könnte auch bemängeln, dass Breuers die Geschichte des Ersten Kreuzzuges aus einem ausschließlich negativem Blickwinkel beleuchtet. Allerdings soll es schließlich gegen alle Verklärung gehen. Das merkt man dem Schreibstil übrigens an. Hart, kühl, brutal. Dennoch wird hier von Menschen geschrieben, nicht von Bestien. Darum erkenne ich durchaus eine Nähe zur Realität. Die kurzen Sätze trafen noch dazu genau den Punkt. Dadurch wurde ich des Lesens kein einziges Mal müde.
Gut finde ich auch das prägnante Fazit, das zum Schluss gezogen wird, auch wenn es das Christentum wiederum ein wenig verteufelt. Die ganze Zeit über ist auf allen Seiten der Gedanke vorhanden, selbst den richtigen Glauben zu vertreten und gegen Ungläubige zu kämpfen. Aber letztendlich beten alle gleich und mehr oder weniger auch den gleichen Gott an. Da die Christen zu diesen brutalen Mitteln griffen und die Stätten des anderen Glaubens vernichteten, stehen sie am Ende im schlechtesten Licht da. Und ihren Sieg verdanken sie allem Anschein nach weniger einer göttlichen Fügung, als vielmehr Rücksichtslosigkeit, Glück und der Legitimation ihrer Handlung durch ein irregeführtes Dogma.
Also, alles in allem ist das Buch auf jeden Fall empfehlenswert.