Dienstag, 9. März 2010

Jahrmarkt

"Habt ihr es wohl schon bemerkt, wie ich es nicht bezweifle, dass wenn man lange einen Kleiderschrank nicht öffnet, die Röcke nicht herausnimmt und trägt, leicht Motten sich hier und dort einspinnen und selbst ganz neues, schönes Tuch zernagen und sich ganze gute Teile herausbeißen, die nachher zu Löchern werden?
Seht Kinder, so ist es auch mit dem Menschen. Er muss an das Freie, umgepackt oder getragen werden, etwas erleben, sonst setzen sich in der ungestörten Einsamkeit noch schlimmere Motten in sein Herz und seinen Verstand. Ja, das Gemüt kann so versauern, dass der Mensch wahrhaft schlecht und elend wird."

"Die vollendete Unnatur hat auch einen gewissen Reiz; auch wird dadurch der Sinn für Natur umso mehr geläutert und geschärft."

"Ganz gut", sagte der Amtmann, "er bleibt mit allen seinen Schwächen immer ein verehrungswertes Individuum, denn er strebt einem Unsichtbaren nach, einem Überirdischen, und ein solcher ist immer mehr wert als Tausende von denen, die nichts Höheres wissen und wünschen, als nur der Gemeinheit zu dienen."
Der Jahrmarkt von Ludwig Tieck