Mittwoch, 19. Dezember 2018

Das sanfte Labyrinth

Buchvorstellung

Heinz Zander
Das sanfte Labyrinth

Das läuft alles ab wie im Kino: Am Tag der Einweihung einer Autostraße, die die drei wichtigsten Siedlungsgebiete einer Mittelmeerinsel miteinander verbinden soll, gerät der Bauingenieur Julian Rebstein im Sog turbulenter Ereignisse an die Seite des ebenso rücksichtslosen wie sentimentalen Reeders Eusebius, einer äußerst zwielichtigen Figur. Er erlebt, wie sein Lebenswerk zerstört wird und ihn eine lasziv zu nennende Kulissenwelt immer mehr gefangennimmt. In einem Zustand an der Grenze zwischen Traum und überwacher Klarheit registriert er, wie Unwahrscheinliches geschieht, während auf seinem Reißbrett ein alles verschlingender steinerner Irrgarten Konturen annimmt.
"Mein liebes spätes Söhnchen, baue, baue, baue...", beschwört ihn die ältliche Tante, Lenchen, und sie weist ihn hin auf das geheimnisvolle Grau der Katze des Hyacinthe Rigaud. In ihren mineralogischen Sammlungen knien die Danaiden noch jeden Tag auf ihrem Büßerstein, die Prozesse dauern an.
Rebstein wird belehrt: "Die Dinge, die wir zum Leben zwangen, schlagen zurück. Haben wir sie überreden können, Wirkung auszuüben, dann können wir sie nicht überreden, auf uns selbst keinen Einfluss zu haben." Doch er erlebt auch: Was als Erscheinung austauschbar wirkte, zeigt sich in seinem Wesen als unverwechselbar. Die Liebe weist Rebstein in letzter Minute einen Ausweg, einen Weg aus dem Labyrinth.
Heinz Zander schrieb einen Parabelroman großen Anspruchs, ein üppigphantastisches Geweb von Gegenwärtigem und Vergangenen, dem der Mythos von Ariadne und Theseus als doppelter Boden zu Grunde liegt.

Parabelromane gäbe es nicht, meinte meine Deutschlehrerin damals im Unterricht. Es ging um die Aufgabe, Literatur einzuordnen, und ich hatte mich gegen die Zuschreibung gewehrt, dass Parabeln zwangsläufig kurz seien. Wie müsste man dann die Romane von Kafka, obgleich unbeendet, einordnen? Mein erstes Gegenbeispiel stammte jedoch nicht von Kafka, sondern von Heinz Zander: "Das sanfte Labyrinth". Ein durchkonzipiertes Werk, das absurde Situationen und Doppeldeutigkeiten aneinander reiht. Nichts scheint real, die Personen wirken - trotz menschlicher Gestalt - wie Fabelwesen. Mich fasziniert dieses Buch noch heute, obwohl es keine Weltliteratur ist und kaum jemand Heinz Zander als Autor kennt. Später erfuhr ich von meinem Kunstlehrer, dass Zander eher ein Illustrator sei.
Ich selbst stieß nur durch Zufall auf ihn und dieses Buch, und zwar in einer Mülltonne. In Schafstädt bei meiner Oma war offenbar jemand in der Nachbarschaft gestorben, die Verwandtschaft wusste nicht, wohin mit den Büchern, und warf sie alle weg. Dort entdeckten meine Schwester und ich sie im Vorbeigehen. Ich stieg sogar in die Altpapiertonne hinein, um so viele Bücher wie möglich zu retten. Und darunter befand sich der Parabelroman von Heinz Zander.
Der Klappentext klang ungewöhnlich. Was war das für eine Handlung? Ich fing die ersten knapp 100 Seiten zu lesen an und hatte das Gefühl, nichts zu verstehen. Bis ich mir bewusst machte, dass es sich eben um einen Parabelroman handelte. Abgesehen von Kafka hatte ich damals kaum etwas in der Richtung gelesen, aber ein Faible für das Verwischen der Grenzen von Realität hatte ich damals bereits entwickelt. Vielleicht liegt es an Büchern wie diesem von Zander, dass es mir nicht so wichtig ist, wohin mich eine Handlung führt und ob ich ihr immer folgen kann. Nicht einmal die Identifikation mit den Charakteren ist mir wichtig. Es ist eher das Unwirkliche und Absonderliche, das mich an Büchern fesselt. Wenn sie nicht einfach erschließbar sind. Wenn sie mehr zu sagen scheinen, als das bloße Wort vermittelt.
Während des Lesens verlor ich mich in diesem merkwürdigen Labyrinth. Im Nachhinein kann ich nicht sagen, was mich daran so fesselte, doch einmal hineingeraten, fand ich den Weg nicht mehr heraus. Dieses Labyrinth hatte eine betörende, ja sanfte Art, den Leser gefangen zu nehmen.