Mittwoch, 26. September 2007

Rezitatorenwettstreit 2003

Das Thema lautete "Alter-nativ".

Die Spitze 
 
I

Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze,
noch unbestätigter Bestand von Glück:
ist das unmenschlich, daß zu dieser Spitze,
zu diesem kleinen dichten Spitzenstück
zwei Augen wurden? - Willst du sie zurück?

Du Langvergangene und schließlich Blinde,
ist deine Seligkeit in diesem Ding,
zu welcher hin, wie zwischen Stamm und Rinde,
dein großes Fühlen, kleinverwandelt, ging?

Durch einen Riß im Schicksal, eine Lücke
entzogst du deine Seele deiner Zeit;
und sie ist so in diesem lichten Stücke,
daß es mich lächeln macht vor Nützlichkeit.


II

Und wenn uns eines Tages dieses Tun
und was an uns geschieht gering erschiene
und uns so fremd, als ob es nicht verdiene,
daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn
um seinetwillen wachsen -: Ob die Bahn
vergilbter Spitze, diese dichtgefügte
blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte,
uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan.

Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß?
Ein Glück war da und wurde hingegeben,
und endlich wurde doch, um jeden Preis,
dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben
und doch vollendet und so schön als sei's
nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben.

 Rainer Maria Rilke

Donnerstag, 2. August 2007

Eiswasser

Meine warmen Gedanken wie Eiswasser zerschmelzen
Das Sonnenlicht verliert ihre mütterliche Stärke
Und ich bleibe zurück und nehme alles hin
Ein kurzes unbewusstes Zucken aus den Mundwinkeln
Lässt meine trockenen Lippen aufreißen
Und ich schmecke das Blut und den Geist des Lebens
Sehnsüchtig tröste ich mich in den Schlaf
Rot ist der Stern meiner Liebe
Schwarz sind die Gedanken in mir
Umrisse der Welt enttäuscht vernommen
Goldene Flügel für den Sterbenden
Treibe ich auf dem leeren Ozean
Und denke an die Vergangenheiten fleischlicher Gelüste
Ein junges Mädchen kratzt an meinem Sarg
Und wendet sich traurig ab
Erfrorenes Wasser als Fundament eines Traums
Das Bewusstsein ist das Tor zur Welt
Und ich spüre die Geburt und das Einmalige
Totenburgen
Im schwachen Licht des Mondes erscheinen
Aufflackern alter Mythen im Herzen der Nacht
Und ich schreie mit dem eisigen Wind
Und sterbe langsam – lautlos vor mich hin
Ein zerkratztes Gesicht im Spiegel
Zwei Augen unbeweglich etwas suchen
Eine salzige Träne als Zeugnis meiner Liebe
Ich entsage Gott
Und leugne seinen Nutzen als Hebamme
Gefüllte Becher zur Trauerstunde
Segne ich die Sünden meines Lebens
Und schieße mir lässig durch die Hand
Mantus

Samstag, 7. Juli 2007

Rezitatorenwettstreit 2006

Der Wettstreit im Jahre 2006 fand zum ersten Mal nicht in unserer Schulaula statt, sondern im Goethetheater in Bad Lauchstädt. Das Thema lautete "Glotzt nicht so romantisch!" und basierte auf einer Aussage von Brecht. Dazu habe ich mir das Gedicht von einem deutschen Autoren herausgesucht, der heftige und sarkastische Texte beim Ubooksverlag veröffentlicht, die sehr viel Gesellschaftskritik, aber auch auf eine skurile Art und Weise Schönheit beinhalten.

Flieg, Gedanke

Man fand Oleandra
Nackt auf dem Bett
Dieses Billighotels
Auf blutgetränktem Laken
Eine geleerte Flasche Whiskey
Ca. 10 Schachtel Zigaretten
Halten einzig und allein
Die Totenwachen
Und sind gleichzeitig
Zeugen eines Schrittes
Richtung Ausgang

Ihr Hirn klebt am Spiegel
Das waren ihre Gedanken
Die sie beizeiten um ein Projektil wickelte
Und außerhalb ihres schönen Kopfes verbreiten wollte

Jetzt sind ihre Gedanken
Ein undefinierbarer Haufen
Toter Zellen
Vermengt mit Blut
Für Sekunden
Zwischen ihrem Schädel
Und dem Spiegel
Durch luftleeren Raum
Freundlich tänzelnd

Universen, die außerhalb ihres Kopfes
Ihre verwundeten Runden zogen
Mit ihren Gedanken aufzuspalten

So ihr Wille
So diese Tat
Tatsächlich

Ihr Gesicht liegt neben ihrem Kopf
Und lacht über sie
Sie ist aber schon lange weg
Richtung Ausgang

Niemand konnte in ihren Kopf sehen
Jetzt schon
Aber verstehen
Kann man sie trotzdem nicht
Mehr ...

Dirk Bernemann

Samstag, 30. Juni 2007

Rothenburg

Warnung! 
Trigger: Gewalt, Kannibalismus


Vorlage für den Einzelteil
XXX

Basierend auf dem Film "Cannibal"

Gefühlsdokumentation vom Roten Turm

Er versucht ihm den Penis abzubeißen, doch abgesehen vom Blut, das auf den Boden tropft, und dem teils schmerzlichen, teils lustvollen Schrei, welcher sich der Kehle des nackten Mannes entwindet, bricht nichts aus dem geschundenen Körper hervor. Beide Männer atmen schwer, bis der eine es schafft, die Qual aus seiner Stimme zu verbannen, um verächtlich zu sagen:
„Du bist zu schwach.“
Dem anderen rinnen bereits die Tränen über das vom Schweiß glänzende Gesicht, aber das Schluchzen unterdrückt er. Kurz entschlossen greift er nach dem Messer, welches neben ihm auf den kalten Steinplatten liegt, und setzt dessen gezackte Klinge unter der in Erektion zitternden Eichel an.
Er hält die fleischliche Spitze mit den Fingern fest und drückt das scharfe Metall gegen die Haut des Gliedes, bevor er nach einigem Zögern zu schneiden beginnt. Mühsam werden die Muskeln durch die sägende Bewegung auseinander gerissen. Weiteres Blut klatscht zur Erde. Jeglicher Schmerz wird gierig von den Drogen aufgesogen, welche seine menschliche Hülle in einen undurchdringlichen Nebel hüllen. Die mit den Misshandlungen verbundene Pein ist taub geworden, nur noch dumpf wahrnehmbar.
Wie Regen prasseln die Geräusche auf ihn ein. Ein angenehmes Rauschen dringt von außen zu seinen Ohren durch.
Und dann ist alles um ihn herum still.
Ein weicher Klang mischt sich in seinem Kopf sind lauter Gedanken die er kaum mehr zuordnen kann und die ihn bestürmen nun Wogen aus Schmerz und einer unbeschreiblichen Befriedigung und etwas dass er nicht definieren konnte wie grauenvoll sein Tod wirklich sein würde wusste er am Anfang nicht auch wenn er sein Leben zu etwas Besonderem machen wollte damit er ein Teil von einem anderen Menschen war ein Teil von einem anderen Menschen zu sein in ihm sein ihm innerlich sein nicht mehr allein nie mehr allein ein Teil ein Teil vom Menschen ohne Einsamkeit.
Ein Teil von dir

Sonntag, 17. Juni 2007

Haus der Lüge


Erstes Geschoss:
Hier leben die Blinden
die glauben was sie sehen
und die Tauben
die glauben was sie hören
festgebunden auf einem Küchenhocker
sitzt ein Irrer der glaubt
alles was er anfassen kann
(seine Hände liegen im Schoss)
Zweites Geschoss:
Rolle für Rolle
Rauhfaser tapeziert
in den Gängen stehen Mieter herum
Betrachten die Wände aufmerksam
suchen darauf Bahn um Bahn
nach Druck- und Rechtschreibfehlern
können nicht mal ihren Namen entziffern
Auf ins nächste Geschoss:
Welches, oh Wunder! nie fertiggestellt
nur über die Treppe erreicht werden kann
hier lagern Irrtümer die gehören der Firma
damit kacheln sie die Böden
an die darf keiner ran
Viertes Geschoss:
Hier wohnt der Architekt
er geht auf in seinem Plan
dieses Gebäude steckt voller Ideen
es reicht von Funda- bis Firmament
und vom Fundament bis zur Firma
Im Erdgeschoss:
Befinden sich vier Türen
die führen direkt ins Freie
oder besser gesagt in den Grundstein
da kann warten wer will
um zwölf kommt Beton
Grundsteinlegung! Grundsteinlegung!
Lüge! Lüge! Lüge!
Gedankengänge sind gestrichen
in Kopfhöhe braun
infam oder katholisch violett
zur besseren Orientierung
Dachgeschoss:
Es hat einen Schaden
im Dachstuhl sitzt ein alter Mann
auf dem Boden tote Engel verstreut
(deren Gesichter sehen ihm ähnlich) zwischen den Knien hält er ein Gewehr
er zielt auf seinen Mund
und in den Schädel
durch den Schädel
und aus dem Schädel heraus
in den Dachfirst
dringt das Geschoss
Gott hat sich erschossen
ein Dachgeschoss wird ausgebaut
Einstürzende Neubauten

Dienstag, 12. Juni 2007

Konzert 2006 - Oomph!

Ein Pamphlet über zunehmende Kommerzialisierung?

Als Einstieg:

Beschissen, dass heutzutage nicht mehr das Können zählt, sondern nur noch der Kommerz, sodass Bands wie Thora nicht einmal ein Label finden, um ihre dritte Platte zu produzieren. Trotzdem stellt diese Band "Baby No. 666" online, damit ihre Fans sie kostenlos herunterladen können. Hier ist es legal. Wer die Musik wirklich mag, dem sollte sie auch so wichtig sein, sich das Album zu kaufen. Aber was die Plattenindustrie macht, ist den meisten Konsumenten des Mindcandy aus der Flimmerkiste sowieso egal; die neuesten Singles kann man bequem "downloaden". Sogenannte Künstler unserer dekadenten Musikbranche können kein einziges Instrument spielen, nicht texten, nicht einmal singen und halten nur ihr genormtes Gesicht in die Kamera. Musik aus der Dose, für die Massenseele.
Dabei ist "Baby No. 666" meines Erachtens eines der besten neuen Alben, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden. Auch Scream Silence können sich mit "Aphelia" hier einordnen und ASP, der das letzte und wahrscheinlich beste Kapitel des Schwarzen Schmetterlings ans Licht gebracht hat. Aber wer hört das schon? Steht ja nicht in den Charts und Individualität sollte eh verboten werden.

Als ich mich mit meiner Freundin zum WGT 2007 mit Sven Friedrich (Zeraphine, Dreadful Shadows, Solar Fake) unterhielt, bestätigte er viele dieser Gedanken, die mir kurz zuvor durch den Kopf gegangen waren. Große wie kleine Label bekommen die Möglichkeiten des World Wide Web am eigenen Leib zu spüren, da das Herunterladen von Musik einfacher, schneller und vor allen Dingen preiswerter ist, als sich die CDs im Laden zu kaufen oder auf anderen Wegen an die Lieder heranzukommen, zum Beispiel gegen Bezahlung die MP3-Dateien herunterzuladen auf den dementsprechenden (seriösen!) Seiten. Doch letztendlich sind es die Bands, die darunter leiden, vor allen Dingen die unbekannten.

Auf der anderen Seite ist es mittlerweile in vielen Clubs verboten, gebrannte CDs zu spielen. Die meisten CDs besitzen so oder so bereits einen Brennschutz, wobei man sich fragt, weshalb? Wenn jemand für ein Album kein Geld ausgeben möchte, dann wird er auch auf anderem Wege herankommen. Aber für den privaten Gebrauch sollte es auf jeden Fall gestattet sein, die eigenen CDs zu brennen. Wer bringt schon mit gutem Gewissen seine Originale in Clubs mit, um sie dort abzuspielen? Wer schleppt schon gern die Originale von daheim mit ins Auto oder zur Arbeit, um sie dort zu hören, und später wieder zurück? Die kleinen Silberlinge halten schließlich nicht ewig.
ASP unterstützt deshalb seine - ich will es mal so nennen - Kampagne: "Ich will brennen".
Aber zurück zum eigentlichen Thema und den negativen Seiten des Brennens.

Womit kann man die Fans noch locken, wie kann man sie dazu bringen, sich das Album zu kaufen? In erster Linie denkt man hier an die Aufmachung, das Booklet, welches man zu einer gebrannten CD nicht bekommt. Aber Sven meinte selbst, ein Booklet sei teuer. Sicher, in der Schwarzen Szene ist es einfacher, die Fans zum Kauf zu bewegen, weil hier die Mentalitäten (noch) anders geprägt sind. Aber dazu muss man kleine Bands überhaupt erst einmal kennen. Und die zunehmende Kommerzialisierung macht es eher den Aufnäher- und T-Shirt-Bands leichter, deren Logos einem überall entgegenblitzen: KoRn, Marilyn Manson, SlipKnot ... da muss sich selbst unsere skandinavische Front fast geschlagen geben vor einer solchen Flut berechnetem Merchandising.

Und dann fiel mir eine deutsche Band ein, die auch ihren Durchbruch geschafft hatte, wie kaum eine andere Untergrundband aus den deutschen Reihen: Oomph!

Lange Rede, kurzer Sinn.
Ich wollte endlich den Weblogeintrag über das Konzert von Oomph! 2006 verfassen, den ich nun Ewigkeiten vor mir herschob. Dieses Konzert hat mir einiges bewusst gemacht und anderes wiederum anders gezeigt, als ich es bis dato erwartet hatte.


26.05.2006
Oomph! - Glaube Liebe Tod
Konzert im Haus Auensee, Leipzig

Das neue Album von Oomph!, "Glaube Liebe Tod", ging wieder in eine Schiene, die ich besser finde. Ich mochte die entstellende Aussage im Titel, die wieder auf die Blasphemie hindeutete, welche Oomph! schon immer verkörperten. Im christlichen Glauben beweihräuchert man immer die drei höchsten Güter des Menschen: Glaube, Liebe und Hoffnung. Diese Worte zu missbrauchen und die Hoffnung mit dem Tod gleichzusetzen gefiel mir erst einmal.
Mein Lieblingsalbum von Oomph! war schon immer "Ego" gewesen. Der Übergang vom Industrial zum Gothic-Rock war hier noch nicht ganz vollzogen, aber auf jeden Fall deutlich spürbar. Aber bei Oomph! ist das so eine Sache, mit dem Lieblingsalbum...
Das neue war für meine Ohren auf jeden Fall besser als "Wahrheit oder Pflicht", auch wenn letzteres sich am besten verkauft hat. Emu meinte dazu mal, "Wahrheit oder Pflicht" ginge schnell zum Ohr herein, aber auch genauso schnell wieder heraus. Obwohl die Lieder auf diesem Album nicht viel schlechter waren als sonst. "Wenn du weinst" mag ich zum Beispiel sehr. Komischerweise hört es damit schon fast auf.
Meine Ansicht damals zum neuesten Album:
Bei Oomph! gibt es auf jedem Album Lieder, die ich mag und welche die ich... scheiße finde. Und auf "Glaube Liebe Tod" sind manche Songs... echt scheiße. Ich meine, so wirklich scheiße.
"Die Schlinge"... Das ist eine Anlehnung an "Spiel mir das Lied vom Tod", mit einer Mundharmonikauntermalung, um den Wildwesterntouch rüberzubringen.
Oder "Mein Schatz"... Hiermit ist tatsächlich die Geschichte um den Ring von Herr der Ringe gemeint.
Und "Land in Sicht" ist genauso furchtbar. Darin sind die Strophen zwar nicht schlecht, aber der Refrain zerstört alles, da er wie ein Schlager klingt, sowohl instrumental als auch vom Text her. ("Du bist mein Leuchtturmlicht..." - ja, das singt er wirklich.)
Dann wiederum gibt es Lieder, die in der gesamten Laufbahn der Band kaum besser hätten sein können, "Zu viel Liebe kann dich töten" beispielsweise.

Mit all diesen Gedanken ging ich damals mit meiner Freundin zum Konzert von Oomph!, das kurz vor dem WGT 06 stattfand. Es war schließlich nicht unser erstes Konzert von ihnen gewesen, das meine Freundin und ich besuchten.
Ich stellte mir verschiedene Fragen. Würde es kommerzieller sein und nur so von Nachsteigerfans wimmeln? Das war an sich nichts Schlechtes, solange sie mehr kannten als nur die Singleauskopplungen und sich nicht benahmen wie postpupertäre Satanisten oder kreischende Groupies. Oder hatte sich die Welle trotz Popularität gelegt? Wie würden die Leute aussehen, eher bunt, eher schwarz? Ich dachte an Normalos, Möchtegerns und Mitschwimmer - hatte sich das bestätigt?
Teils, teils, aber eigentlich ging es erstaunlicherweise doch in eine ganz andere Richtung. Natürlich hat man gemerkt, dass es durchaus kommerzieller geworden ist, aber nur, was die Besucher anbelangt.
Meine Freundin und ich standen ziemlich weit vorn, zweite Reihe, manchmal sogar erste. Dero hat sich ein paar Mal über die Menge tragen lassen, ich hatte das Vergnügen, ihm versehentlich an sein Bestes zu greifen, meine Freundin hat er getreten. Wir wurden herumgeschubst, angepokt, beim Headbanging von einigen getreten und geschlagen. Insgesamt kann man sagen, dass es doch recht lustig war. Wie ein Metalkonzert eben.
Aber dennoch war es seltsam, dass Dero beispielsweise nicht weit gekommen ist, wenn er sich von der Menge tragen ließ. Ganz einfach deshalb, weil da viel mehr Mädchen waren, die ihn anfassen wollten, anstatt ihn weiterzureichen. Und das konnte ich nicht verstehen. Es war ein komischer Nachgeschmack dabei, den ich jetzt nicht mehr erklären kann.

Es war sonst alles wunderbar blasphemisch. Selbst "Gott ist ein Popstar" hatte eine viel härtere Note.
Sicher haben die Bodyguards gedacht, sie hätten eine riesige, kranke Sekte vor sich, als wir alle einstimmig das Vater unser schrien. Dann wurden Dinge wie "Gekreuzigt" gespielt, man konnte "Feiert das Kreuz" mitbrüllen, "Ich bin der neue Gott" oder solche Dinge wie "Ave Satani et Stupor et Christi" und "Gott ist tot".
Doch tatsächlich wurden die Stimmen bei diesen Liedern schwächer. Vielleicht weil sie nicht gerade vom letzten oder vorletzten Album waren?
Oomph! haben eigentlich schon immer recht kommerzielle Lieder geschrieben, was das anbelangt. Man kann nicht sagen, dass sich das geändert hat, nur weil sie bekannt geworden sind - es war schon vorher so, das Potenzial dazu bestand.
Dennoch... mir gefällt das Gefühl nicht, zu merken, dass Oomph! für manche scheinbar erst zwei Alben rausgebracht haben und dass Ego, Plastik, Unrein, Wunschkind, Sperm, Defekt und alles davor und dazwischen vergessen wird.
Am Ende der Zugabe haben meine Freundin und ich mit einigen wenigen angefangen "Wie schmeckt dir mein Herz" zu rufen. Es tat weh, dass viele "Fans" scheinbar gar nicht verstanden, was wir riefen. "Mein Herz" war das allererste Lied von Oomph!. Wir haben es bereits auf dem letzten Konzert, was nun schon lange her ist, gerufen und Dero hat es schließlich für uns ohne Begleitung der Band gesungen. Doch dieses Mal waren es nicht halb so viele, die mitriefen. Die Zugabe, die daraufhin gespielt wurde, war "Das letzte Streichholz", wenn ich mich recht erinnere. Auch dieser Zug von Dero hatte einen unangenehmen Nachgeschmack...

Dieser Punkt, den ich schon die ganze Zeit schlicht und vielleicht unberechtigterweise auf die Kommerzialisierung schiebe, ist ein Teil des Grundes, weshalb ich nicht noch einmal auf ein Konzert von Oomph! gehen möchte.
Der zweite, viel wichtigere Punkt allerdings hat im Großen und Ganzen nichts mit dem Publikum zu tun. Das letzte Konzert von Oomph! war vom Aufbau ähnlich wie dieses hier. Nach wie vor finde ich viele Lieder toll. Beispielsweise gehören "Du willst es doch auch" vom neuen Album oder "Going down" von dem davor oder auch "Niemand" auf jeden Fall zu den besten Liedern von Oomph!.
Doch diese aufputschende Wirkung, die es früher auf mich hatte, ist mittlerweile nicht mehr da. Es liegt nicht an Oomph!, dass ich das nicht mehr fühle, sondern allein an mir. Es gibt mir nicht mehr so viel, wie es das früher getan hat.
Darum kein weiteres Mal.

Sonntag, 13. Mai 2007

Zimmer 34

Ein graues Zimmer ohne Frühstück

Grau in Grau. Die Warteschleife im Hotel und das Hotel.
Grau in Grau.
In der Halle warten Menschen. Brauchen keine Münder, keine Augen. Uninteressierte glasige Blicke. Vergeistigt - farbenblind.
Betretenes Schweigen.
Kein Blick verfolgt mich. Keiner grüßt und kein Gast fragt.

An der Rezeption gebe ich über eine Tastatur meinen Wunsch ein:
Ein graues Zimmer ohne Frühstück.
Ich zahle mit Plastik.
Meine Hand entnimmt einem sich öffnenden Schubfach einen Schlüssel.
Zimmer 34.
Dritter Stock.
Die zweite Tür links,
oder war es rechts?
Was stand eigentlich sonst noch auf dem Display, als meine Buchung bestätigt wurde?
Sicher nichts Wichtiges. Der Drucker hätte es sicherlich ausgespuckt. Gleichzeitig mit dem Schlüssel.
Meinem Schlüssel.
Die Aluminiumtür des Aufzugs öffnet sich.

Ich betrete den Fahrstuhl allein.
Als einziger Gast.
Die Unentschlossenen bleiben zurück.
Sie sehen nicht.
Sie sprechen nicht.
Sie denken nicht.
Machen keine Fehler.
Zumindest glauben sie das.

Der Fahrstuhl bewegt sich. Einen halben Gedanken später öffnet sich das Aluminium.
Ein leerer Gang.
Ich zähle die Schritte:
Eins,
Zwei,
Drei,
Vier,
Fünf...
Leider in die falsche Richtung.
Es hieß doch links.
Fünf Schritte.
Denk Weg zurück.
Mit zehn weiteren erreiche ich mein Zimmer.
Nr. 34.
Vor der Tür.
Der Schlüssel...

Hinter der Tür.
Kein Teppich. Nur hellgraue Kacheln. An Boden und Wänden.
Leicht zu reinigen.
Der Raum ist viel zu grell. Unangenehm hell.
Aber leicht zu reinigen.
Neonlicht macht hässlich. Obwohl mich keiner sieht. Es macht unvorteilhaft.
Es ist zu ehrlich.
Das Neonlicht.
Aber praktisch.
Für das Reinigungspersonal.

Kein Fenster.
Kein Tageslicht.
Kein Lebendlicht.
Im Bad geht gar kein Licht.
Im Spiegel sehe ich besser aus als befürchtet.
Das Licht bleibt vor der Tür des Badezimmers.
Die Wahrheit wartet ab.
Verliert ihren Schrecken.
Ich ziehe mich aus.
Nehme ein Bad.
Bis auf das warme Wasser fühle ich nichts.
Wie angenehm.

Wieder im Zimmer.
Die Wahrheit wartet. Lässt sich nicht verscheuchen.
Ein Stuhl aus Plastik. Kein Tisch.
Ein Bett mit Plastiklaken. Keine Decke. Aber ein abwaschbares Kissen. Für Menschen, die es bequem haben wollen.
Typisch eingerichtet.
Eben ein graues Zimmer ohne Frühstück.

Ein dunkelgraues Telefon. Am Boden neben dem Bett. Für die Unentschlossenen. Von Außen nicht erreichbar.
Daneben eine graue Schachtel.
Es ist zu hell.
Ich stelle mich auf den Plastikstuhl. Drehe zwei der drei Neonröhren aus der Halterung.
Angenehmer.
Aber bei weitem nicht gemütlich.
Effektiv.
Leicht zu reinigen.

Ich setze mich auf den Stuhl.
Schaue zum Telefon.
Fixiere die Schachtel.
Atme bewusst ein und aus.

Blicke zurück auf einen Abschnitt Leben.
Noch einmal bewusst erleben.
Vielleicht auch genießen.
Die Schachtel.

Ich stehe auf.
Öffne die Schachtel.
Setze mich auf den Stuhl.
Schlucke einen bunten Cocktail.
Tabletten und Kapseln.
Geschmacklos.
Sie waren das einzig Bunte in diesem Raum. In diesem Hotel.
Die Wirkung färbt den Verstand.
Sind Farben schön?
Machen sie Spaß?

Ich warte
während ich denke.
Ich höre auf zu denken.
Warte weiter.
Der Raum wird größer.
Grau schimmert grün.
Ich werde unruhig.
Meinen Herzschlag kann ich spüren.
Die Unordnung in meinem Körper.
Die Decke schimmert bläulich.
Irgendwie angenehm.
So blau.

Der Raum verliert jede Form.
Jede Wand, die Decke. Alles scheint zu leben.
Meine Augen verirren sich.
Ich schließe sie.
Habe Probleme zu sitzen. Spüre keinen Stuhl.
Keinen Boden.
Keine Füße.
Ich merke
wie ich falle.
Mein Kopf schlägt auf.
Schmerzfrei.
Der Boden ist noch anwesend.
Aber nicht spürbar. Nur für meinen Kopf.
Mein Blut ist leuchtend rot. Irgendwie künstlich.
Leuchtend Rot.
Leicht zu reinigen...

Geändert hat sich nichts.

Goethes Erben

Mittwoch, 9. Mai 2007

Projektwoche 2006

Vorlage für den Einzelteil
Koyaanisqatsi

Die letzte Projektwoche für unseren dreizehnten Jahrgang.

Willkommen im Labyrinth, in dem "die Welt aus den Fugen gerät". Denn genau das bedeutet Koyaanisqatsi. Nachdem die Mitglieder des Roten Fadens noch am Morgen die Lesung mit dem Thema "Zwangsjacken sollten maßgeschneidert sein" in einem dafür umfunktionierten Klassenraum abgehalten hatten, mussten wir es bis zum Mittag schaffen, in jenem Raum das Gestell für unser Labyrinth aufzubauen. Niemals hätten wir trotz Hoffnung erwartet, dass das Holzgestell dafür halten würde, aber von unserer wackeligen Gesellschaft erwartet man schließlich auch, dass sie jeden Moment zusammenbricht.
Nun, meine Damen und Herren, treten sie ein.

Wer nicht stehen bleibt, wird erschossen verachtet!
Das steht auf einem alten Schild an der Tür. Daneben, an der Wand findet sich der Hinweis:
Folge dem Roten Faden.
Du betrachtest den dicken Strickfaden, der in das Innere des Raumes führt. Vorsichtig betrittst du die Schwelle und begräbst dabei ein großes Blatt Papier unter deinen Füßen.
Zitate sind das Grab des Gedankens.
Als nächstes berühren deine Schuhe Zeitungspapier, das über den gesamten Boden ausgebreitet ist. Vor dir stehen Stühle, die mit weißen Laken bedeckt sind. Rote Pfeile zeigen nach links. Auch der Rote Faden windet sich in dieser Richtung weiter. Du gehst ihm nach und trittst ein in ein mit Laken überspanntes Gestell. Du siehst nichts mehr, nur noch die wenigen Meter um dich herum. Du befindest dich im Labyrinth von Koyaanisqatsi.
Der rote Faden endet auf den ersten Stufen einer wackeligen Leiter, die mitten im Weg steht. Daneben ein weiteres Schild:
Es liegt in der Natur des Menschen Karriere zu machen.
gez.: die Erfolgreichen

Auf dem Boden liegen abgenutzte Kuscheltiere, noch immer mit Wäscheklammern an einer Leine befestigt. In die Bäuche und Köpfe der Plüschfiguren und Puppen sind Notizzettel mit Nadeln gestochen worden. Geschändet. Kinderlachen. Blut. Erwachsen. Die Worte auf diesen Zetteln vermischen sich mit den vielen Buchstaben, welche bereits durch das Zeitungspapier auf dem Boden deine Sinne vernebeln. Zeitungen aufgeklebt auf riesigen Pappen, die sich die Wände entlangziehen. Weitere Sprüche und Zitate bedecken auf Plakaten jeden freien Platz und versperren dir auf unzähligen Schildern den Weg.
Reklame, Propaganda, der Irrsinn unserer Zeit auf wehrloses Papier gepresst.
Du gehst durch ein paar bemalte Tücher hindurch, um eine Ecke. Schließlich zweigt sich der Weg. Vor dem einen Gang hängt ein Schild herunter, auf dem steht:
Kleine Fabel.
Bitte eintreten.

Du trittst ein und bleibst vor einer Sackgasse stehen, in der sich nur ein Kinderstuhl befindet. Als du dich umwendest, um zu gehen, fällt dir die Rückseite des Schilds über dem Eingang auf.
Du musst nur die Richtung ändern.
Darunter befindet sich ein großer Katzenkopf mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen. Du kannst froh sein, dass deine eigene Endstation noch nicht an diesem Punkt ist. Aber vielleicht erinnerst du dich in genau diesem Moment daran, dass die letzte Ausfahrt auch an dir vorbeigehen wird.
Du gehst weiter und begegnest verschiedenen Gegenständen, zur grotesken Darstellung ihrer Selbst auf kleinen Podien aufgebaut. In einer weiteren Sackgasse befindet sich ein Holzkopf mit ausgebreiteten Armen, Reklame auf der Brust klebend. Eine Pistole liegt direkt daneben, aus deren Mündung sich eine Zeitung rollt. Bild dir deine Meinung - Wozu solltest du auch eigenständig denken, wenn andere das genauso gut für dich übernehmen können?
Unter deinen Füßen knirscht es, während du dich von herabhängenden Spinnweben befreist. Unzählige feste Glaskristalle sind über den Boden verteilt, als hätte jemand den Rahmen eines Bildes fallen lassen. Endlich kommst du aus der Dunkelheit in den hinteren Teil des unkenntlichen Klassenzimmers, der von einem zur Decke gerichteten Scheinwerfer erhellt wird. Wieder Schilder.
Straße des Erfolgs
Lebensweg
Vor dir wurden auf dem Boden Wackelbretter in einer Reihe aufgestellt, verstärkt durch hohe Sprungfedern. Auf dem ersten Brett direkt vor deinen Füßen steht in Leuchtbuchstaben Konjunktur, auf dem nächsten DDR. Das Holz ist schon ein wenig staubig von den Schuhen vieler Leute.
An einer Holzlatte hängt ein großes Plakat.
Erleben Sie das Gefühl sozialer Sicherheit.
Darunter ein kleinerer Hinweis, der mit einem Pfeil auf den schmalen Weg neben den Wackelbrettern zeigt.
Für die Ängstlichen:
Weg des geringsten Widerstands

Nach kurzem Zögern entscheidest du dich für den schweren Weg und stellst deinen Fuß auf das erste Brett. Du versuchst mit den Armen deinen Körper auszubalancieren. Beim zweiten Schritt verlierst du fast das Gleichgewicht, allerdings fängst du dich und meisterst das Hindernis. Auf der anderen Seite erwarten dich seltsame Gerätschaften, mit Bildern beklebte Pappscheiben, an denen du drehen kannst. Das Rad eines Fahrrads wurde auf einer Stange befestigt, daneben ein weiteres Schild.
Einmal am Rad drehen - 50 Cent
Du hörst seltsame Geräusche, die wie Musik aus einem alten Radio klingen, dann wieder wie priesterlicher Gesang und schließlich wie das Klopfen in einem Bergwerk. Die Musik berieselte dich schon die ganze Zeit, während du durch das Labyrinth gingst. Nun betrachtest du die alten Schränke und herunter gelassenen Rollläden, an denen weitere Werbezeitschriften befestigt wurden. Ihre bunte Farbe wirkt in dem schummrigen Licht irgendwie verwandelt und grotesk. Du liest ein Wort.
Konsumgesellschaft
Ein rohes Stück Fleisch neben einer Einbauküche und der dazu passenden Stehlampe im Wohnzimmer. Unterwäsche mit Spitze über dem SyncMaster 171N und einem neuen Roman von Rosamunde Pilcher. Weitere Plakate schleudern dir ihre Weisheiten, Phrasen und Sprichwörter ins Gesicht, sodass du kaum mehr aufnehmen kannst, was du liest.
Die Musik hämmert in deinem Kopf und du gehst weiter.
Eine seltsame steinerne Fratze blickt dich von der Tiefe eines Stuhles aus an. Vor dir ist ein Altar aufgebaut, beleuchtet durch eine Schwarzlichtlampe. Auf dem großen Triptychon darüber ist die Gestalt eines in rote Farbe getränkten Menschen abgebildet, der wie an ein Kreuz genagelt erscheint.
Du lässt den letzten Durchgang des Labyrinths hinter dir, an dem Tücher mit den Symbolen des Kommunismus herunterhängen und mit bunten Motiven bemalte Kinderdecken.
Nun ist der Boden von weißen Laken bedeckt. Unregelmäßig ist alles, auch die Tische und Stühle mit weißen Laken bedeckt, ein Mülleimer steht einsam darin.
In der Ecke steht ein Fernseher und zeigt Bilder von unserer Gesellschaft. Menschen gehen durch die Straßen, arbeiten, stehen in Untergrundbahnen und sitzen in Autos. Die Bilder verschnellern sich, Tag wechselt zur Nacht, Nacht zum Tag. Arbeitsabläufe kehren immer und immer wieder. Menschen strömen aus ihren Häusern, weichen einander aus, stoßen zusammen. Rolltreppen funktionieren verlassen, auch ohne dass sie betreten werden, dann füllen sie sich und tragen die Last der großen Anonymität. Immer schneller zieht das Leben vorbei. Dennoch verändert sich nichts.
Du wendest den Blick vom Fernsehbildschirm ab und schaust zur Tür.
Nur einen kurzen Moment hältst du inne, dann trittst du heraus aus dem Labyrinth Koyaanisqatsi.
Und nichts hat sich geändert.

Donnerstag, 19. April 2007

Rezitatorenwettstreit 2007

Dies ist das Gedicht, das ich auf meinem letzten Rezitatorenwettstreit zum Thema "Leonardo DaVinci" vorgetragen habe. Es stammt aus den "Blumen des Bösen" von Charles Baudelaire.

Die Leuchttürme

Rubens, du Strom Vergessens, Garten lässiger Lüste
Und Pfühl von Fleisch, drauf Liebe nicht gedeiht; doch her
Das Leben strömt und ewig wogt; so bebt die Wüste,
So schwingt die Luft im Blau und schwillt im Meer das Meer.

Lenardo Vinci, unvermessner dunkler Spiegel,
Drin Engel ohne Harm mit süßem Lächelmund,
Den noch verschlossen hält geheimen Wissens Siegel,
In Gletscherschatten ruhn und in Zypressengrund.

Rembrandt, Siechenhaus, wo trübes Raunen lauert
Und dessen Dunkel nur ein Crucifixus schmückt,
Wo weinendes Gebet aus Unrathaufen schauert,
Die winterlich Geleucht in jähem Strahl durchzückt.

O Michelangelo, du Land, wo Urweltrecken
Den Heilanden gesellt sind und im Dämmerlicht
Gespenster schwer von Kraft sich hoch wie Säulen strecken
Und starrer Finger Krampf der Laken Fessel bricht.

So schamlos wie der Faun, verbissen wie die Ringer,
Du, der des Packes Schönheit auf vom Boden las,
Puget, du Herz voll Stolz, du Fahler und Geringer,
Ein Rudersklavenfürst, der nie vom Schmerz genas.

Watteau, du Mummenschanz, Wo viel erlauchte Herzen
Den Schmetterlingen gleich sich wiegen im Geloh,
Gebrächlich Ziergebräu, verklärt durch Flimmerkerzen,
Aus den der Taumel in des Reigens Wirbel floh.

Goja, du Albdruck schwer von ungewussten Dingen,
Von Frühgeburten gargekocht beim Hexenfest,
Von Spiegelalten und von Mädchen zart, die Schlingen
Selbst Teufeln legen, zerrn sie nackt die Strümpfe fest.

Delacroix, du Blutsee heimgesucht von Mahren,
Verschattet von des Tanns unsäglich grünem Blick,
Wo unter bleichen Himmeln seltsame Fanfaren
Verwehn wie leise Seufzer Weberscher Musik.

O ihr Verwünschungen, ihr Flüche, Tränen, Lallen,
Verzückte Schreie, Lobgesänge laut und stumm,
Seid Echos, die aus tausend Labyrinthen hallen!
Ihr seid dem Herz, das stirbt, ein göttlich Opium!

Und das ist gut, denn sieh: wir können, Herr und Walter,
Kein besser Zeugnis geben unsrer Würdigkeit
Als dies Geschluchz von Glut, das Alter wälzt zu Alter
Und sterben geht am Grenzwall deiner Ewigkeit!
Charles Baudelaire


Hier ist eine andere deutsche Version:



Die Leuchttürme

Rubens, der Trägheit Garten, des Vergessens Bronnen,
Ein Lager blüh'nden Fleisches, der Liebe leer,
Doch so von Leben und von Glut durchronnen
Wie von der Luft das All, das Meer vom Meer.

Leonard da Vinci, Spiegel tief und dunkel,
Wo Engel lächeln süss und rätselschwer
Aus Fichtenschatten, grünem Eisgefunkel
Von ihrer Heimat Gletschergipfeln her.

Rembrandt, das Haus der Traurigen und Kranken,
Von einem hohen Kruzifix erhellt,
Gebete, Seufzer überm Unrat schwanken,
Ein kalter Schimmer jäh ins Dunkel fällt.

Buonarroti, fern, wo Riesenschatten schweben,
Wo Herkules mit Christus sich verband,
Gespenster steil aus ihrer Gruft sich heben,
Mit starrem Finger fetzend ihr Gewand.

Der in des Pöbels Wut, des Fauns Erfrechen,
Der Schönheit fand selbst in der Schurken Reich,
Puget, du grosses Herz voll Stolz und Schwächen,
Der Sklaven König, kummervoll und bleich.

Watteau, ein Fest, wo Herzen leuchtend irren,
Den Schmetterlingen gleich, ein Faschingsball,
Lieblicher Zierat, Glanz und Lichter schwirren
Und Tollheit wirbelnd durch den Karneval.

Goya, ein Nachtmahr, ferner wirrer Schrecken,
Leichengeruch vom Hexensabbat weht,
Wo, lüsterner Dämonen Gier zu wecken,
Die nackte Kinderschar sich biegt und dreht.

Und Delacroix, Blutsee, wo Geister hausen.
Im Schatten tief, der Himmel schwer wie Blei,
Wo durch die trübe Luft Fanfaren brausen
Seltsamen Klangs, wie ein erstickter Schrei.

Dies alles, Fluch und Lästerung und Sünden,
Verzückungsschrei, Gebet und Todesschmerz
Ist Widerhall aus tausend dunklen Gründen,
Berauschend Gift für unser sterblich Herz.

Ein Schrei ist's, der da gellt in tausend Stürmen,
Die Losung, die von tausend Lippen schallt,
Leuchtfeuer, das da flammt von tausend Türmen,
Des Jägers Ruf, der durch die Wildnis hallt.

Ein Zeichen, Gott, das wir dir bringen wollen,
Vor deinen Herrlichkeiten zu bestehn,
Glühende Tränen, die durchs Weltall rollen
Und an der Ewigkeiten Rand vergehn.
Charles Baudelaire

Dienstag, 30. Januar 2007

Zwischen Dom und Blocksberg

Vorlage für
Zwischen Dom und Blocksberg

Ich stellte mir vor, Faust hätte vor dem Dom gestanden und Margarete beobachtet, als diese von ihrem eigenen Gewissen gepeinigt wurde. Eben noch hatte Faust Valentin getötet und bald würde ihn Mephistopheles der Begierden des Blocksberges aussetzen...


Vor dem Dom

FAUST (Gretchen betrachtend).
So seh' ich unter vielen sie verweilen,
Meine Liebe, die so keiner andern gleicht
In ihrer Reinheit, vor der selbst die Sünde weicht,
Und dennoch mag sie ihre Wunden nicht zu heilen.
Da ich doch selbst wohl schuldig bin,
Muss ich mich hier vor ihrem Glanz verbergen?
Ihr holder Hain stirbt unter Leichensärgen,
Mutter und Bruder liegen schon darin.
Den Tod der ersten tat Grete nicht von eigner Hand,
Doch will sie trotzdem dafür Buße tun.
Der Tod des zweiten ließ den Dolch in meinen Händen ruhn,
Sodass sich dieser Liebe Kleid mit Blut verband.
Den unberührten Schoß, den ich ihr nahm,
Stahl ich mir wie ihr ganzes Leben.
Voll Ehrfurcht wollte sie mir alles geben,
Ich, ohne Skrupel, sie, ohne Scham,
So starb in ihren Armen auch mein Streben.
Sind nicht der böse Geist, der mich umgarnt
und der auch ihr den Sinn ließ dunkel sein,
Sowie der Herr, der uns vor keinem Unrecht hat gewarnt,
Die eigentlichen Täter unsrer Pein?