Freitag, 8. April 2011

Kafka

Vor einigen Tagen habe ich einen Käfer gefangen. Er flog durch den Raum, gegen die Fensterscheibe, weil er vermutlich in die Außenwelt wollte, und stürzte ab. Dabei landete er auf seinem Rücken und kam nicht mehr hoch. Ich habe ein Glas über ihn gestellt. Eine Zeit lang bewegte er sich noch. Aber ich schenkte ihm schnell keine Beachtung mehr. Jetzt, nachdem ich mich seiner wieder erinnerte, musste ich feststellen, dass er noch immer lebt. Er drückt seine Beine gegen den Boden, um sich aufzurichten. Beinahe wollte ich die Beschreibung "verzweifelt" verwenden, weil er genau danach aussieht. Seine Bewegungen wirken menschlich. Ob er wirklich etwas Derartiges fühlt, kann ich nicht sagen. Aber aus seinem kleinen Glaskäfig kann er ohnehin nicht entfliehen, selbst wenn er noch immer mit den Beinen um sich schlägt, sogar wenn er nicht auf dem Rücken läge. Doch das weiß er nicht. Darum ergeben seine Bemühungen noch so lange Sinn, bis er die Wahrheit erkennt. Ich habe ihn Kafka genannt. Weil ich es nicht schaffe, ihn zu erlösen, warte ich darauf, dass er stirbt.

Montag, 4. April 2011

Es herrscht wieder Frieden im Land

Frieden im Land

Das Land steht stolz im Feiertagsgewand
Die Zollbeamten sind schön aufgeputzt
Sogar die Penner haben Ausgang, und am Rand
Sind ein paar Unverbesserliche noch verdutzt
Die alten Ängste, pittoresk gepflanzt
Treiben sehr bunte, neue Blüten
Die Bullen beißen wieder
Und der Landtag tanzt
Endlich geschafft: ein Volk von Phagozyten

Jetzt ist es allen klar: der Herr baut nie auf Sand
Es herrscht wieder Frieden im Land

Vereinzelt springen Terroristen über Wiesen
Wie schick, die Photoapparate sind gezückt
Die alten Bürgerseligkeiten sprießen
Die Rettung, Freunde, ist geglückt
Die Schüler schleimen wieder um die Wette
Die Denker lassen Drachen steigen
Utopia onaniert im Seidenbette
Die Zeiten stinken und die Dichter schweigen
Wie schön, dass sich das Recht zum Rechten fand
Es herrscht wieder Frieden im Land

Es herrscht wieder Frieden
Es herrscht wieder Frieden
Es herrscht wieder Frieden im Land!

Ich will mich jetzt mit einem runden Weib begnügen
Drei Kinder zeugen, Eigenheime pflanzen
Und die Menschheit endlich mal um mich betrügen
Wohin denn, Leiden?
Schließ mir, Herr, den Mund
Wirf mir die Augendecken runter und den Stirnverband
Frieden!
Frieden!
Es herrscht wieder Frieden im Land

Konstantin Wecker