Vor dem frühen neunzehnten Jahrhundert wurde die Historiographie als Zweig der Redekunst und damit als passender Gegenstand für die Theorie der Rhetorik betrachtet. Im Gefolge der Bemühung, historische Studien wissenschaftlicher zu gestalten, wurde jedoch die Ehe der Historiographie mit der Rhetorik im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts geschieden. Der zweifache Angriff auf die Rhetorik, zum einen seitens der romantischen Poetik, und zum anderen von Seiten des Positivismus, führte dazu, dass die Rhetorik von der westlichen Hochkultur in Acht und Bann geschlagen wurde. "Literatur" als Praxis des "Schreibens" nahm nun den Platz ein, den vormals die Redekunst innehatte, und die "Philologie" verdrängte die Rhetorik als die allgemeine Wissenschaft der Sprache. Das theoretische Problem der Geschichtsschreibung wurde von da an im Rahmen der Frage nach der Beziehung von Geschichte und Literatur erörtert. Da die Literatur aber gewöhnlich als das geheimnisvolle Ergebnis "dichterischer Kreativität" galt, war das Problem unlösbar. Hinsichtlich des Verhältnisses der Geschichte zur Philologie wurde allgemein anerkannt, dass die Philologie nichts anderes sei als die auf die Untersuchung sprachlicher Phänomene angewandte "historische Methode". Nun wurde aber die "historische Methode" ihrerseits einfach als die auf das Studium historischer (dokumentarischer) Zeugnisse angewandte "philologische Methode" betrachtet, womit sich das Methodenproblem in einem ausweglosen tautologischen Zirkel verfing.Hayden White
Dienstag, 20. Oktober 2009
Historiographie im Zirkel philologischer Zuschreibungen
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